Jahrgangskombinierte Klassen in der Primarschule – nur eine Notlösung oder pädagogisches Konzept mit Potenzial
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Hier erfahren Sie mehr über Kombiklassen und die Vor- und Nachteile des Konzepts von jahrgangsübergreifenden Klassen.
In jahrgangskombinierten Klassen (kurz: Kombiklassen) an Primarschulen lernen Schülerinnen und Schüler verschiedener Klassenstufen, meist der 1. und 2. sowie der 3. und 4. Klasse bzw. die Klassen 1 bis 3, gemeinsam in altersheterogenen Lerngruppen. Das Konzept wird auch als jahrgangsübergreifendes Lernen (JüL) bezeichnet.
Die erarbeiteten Inhalte der geltenden Bildungs- bzw. Lehrpläne sollen denen der nicht jahrgangsgemischten Klassen entsprechen. In Deutschland besteht die Möglichkeit, jahrgangskombinierte Klassen einzurichten, in fast allen Bundesländern. Besonders verbreitet sind sie in Bayern. Dort steigt die Zahl der kombinierten Klassen stetig an: im Schuljahr 2006/07 waren es 226 Kombiklassen, 2019/20 bereits 1552. In der Schweiz wird das Konzept unter der Bezeichnung „Altersdurchmischtes Lernen“ (AdL) umgesetzt.
Anlass für die Einführung von Kombiklassen ist häufig ein Rückgang der Schülerzahlen, der organisatorische oder finanzielle Probleme für den Betrieb der Schule nach sich zieht. Statt eine Primarschule zu schliessen, werden verschiedene Klassenstufen zusammengelegt.
Es gibt aber auch grössere Schulen, die sich bewusst für das Konzept der jahrgangskombinierten Klassen entscheiden, um die positiven Effekte besonders auf leistungsmässig sehr heterogen zusammengesetzten Schülergruppen zu nutzen.
Welches Konzept steht hinter den jahrgangskombinierten Klassen?
Das pädagogische Konzept beruht u. a. auf den unterschiedlichen Wissens- und Erfahrungslevels der Kinder. Leistungsstarke Kinder können sich am Unterrichtsstoff der höheren Klasse beteiligen; leistungsschwächere Kinder wiederholen Unterrichtsinhalte und gewinnen Selbstbewusstsein, wenn sie den Jüngeren diese erläutern können. Das Erklären erfordert zudem, dass sich die Schüler Gedanken machen, wie etwas funktioniert, was wiederum das eigene Verstehen fördert.
Für Lehrerinnen und Lehrer ist es wichtig, den Lernstand aller Schülerinnen und Schüler im Blick zu haben, um sie einer passenden Niveaugruppe zuordnen zu können. Diese Zuordnung ist nicht starr und kann sich von Fach zu Fach sowie von Unterrichtsthema zu Unterrichtsthema unterscheiden.
Dadurch eignet sich das Konzept gut zur Differenzierung im Unterricht.
In vielen jahrgangskombinierten Klassen unterstützt zur Differenzierung zumindest zeitweise eine zusätzliche Lehrkraft die Lehrerinnen und Lehrer.
Teilweise arbeiten die Kinder, eingeteilt in verschiedene Schwierigkeitslevel, an einem gemeinsamen Unterrichtsthema, teilweise an unterschiedlichen Themen.
Für das das Lernen in Kombiklassen eignen sich verschiedene Unterrichtsmethoden, wie z. B. Stationenlernen, Lerntheken, Werkstattunterricht, Projektarbeit, Freiarbeit oder Wochenplanarbeit.
Regeln und Rituale, die den Schultag strukturieren, wie ein Morgenkreis oder Klassenrat, Singen, Spiele, Bewegungspausen oder Reflektionsrunden, machen alle gemeinsam.
Jahrgangskombinierte Klassen: Pro und Contra
Pro
- Individuelles Lernangebot: Kombiklassen eignen sich gut für die Differenzierung im Unterricht, wobei auf die Materialien von mehreren Klassenstufen zurückgegriffen werden kann.
- Die Struktur ermöglicht Methoden, wie Lerntandems, Paten- oder Tutorensysteme, bei denen die Kinder abwechselnd in die Rollen der „Lehrenden“ und „Lernenden“ schlüpfen können.
- Die Kinder lernen voneinander: Die „Grossen“ sind stolz, wenn sie den „Kleinen“ helfen können, und gewinnen Selbstbewusstsein. Die „Kleinen“ können sich an den „Grossen“ orientieren, was ihnen Sicherheit gibt.
- Soziale Kompetenzen, wie Team- und Kommunikationsfähigkeit sowie die Fähigkeit, selbstständig zu arbeiten, werden gefördert.
- In Einzel-, Partner- und Gruppenarbeitsphasen haben Lehrkräfte die Möglichkeit zur intensiveren Betreuung einzelner Kinder und zur Schülerbeobachtung: Wie ist das Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten der einzelnen Schülerinnen und Schüler?
- Erleichtert die Eingewöhnung an der Schule, da die Kinder altersgemischte Gruppen aus dem Kindergarten gewohnt sind und Freunde aus Kindergartentagen wieder treffen.
- Das Überspringen einer Klassenstufe wird erleichtert.
Contra
- Höherer Zeitaufwand bei der Stundenvorbereitung
- Grösserer Dokumentationsaufwand des Leistungsstands jedes Schülers, um die Kinder den passenden Niveaugruppen zuzuordnen
- Grösserer Materialbedarf
- Für Lehrkräfte, die erst in den Lehrerberuf starten und noch nicht alle Klassenstufen unterrichtet haben, ist der Mehraufwand sehr gross.
Warum haben viele Eltern Vorbehalte gegen die Einführung von Kombiklassen?
Bekannt sind jahrgangsgemischte Klassen noch aus der Vergangenheit des Schulsystems. Das Konzept erscheint vielen deshalb antiquiert. Die Kombiklassen von damals haben mit den heutigen aufgrund neuer pädagogischer und didaktischer Ansätze und Methoden allerdings – abgesehen von der Mischung der Klassenstufen – wenig gemein.
Die Befürchtung ist oft, dass die Kinder mit dem Unterrichtsstoff hinterherhinken, überfordert sind oder stärkere Schüler aus den höheren Klassen ausgebremst werden.
Modellprojekte in Bayern haben laut einem Bericht der Staatlichen Schulämter in der Stadt und im Landkreis Würzburg allerdings gezeigt, „dass die Kinder ebenso viel lernten wie in jahrgangsreinen Klassen, dass sie aber im sozialen Verhalten grössere Fortschritte gemacht hatten.“
Fazit
Mit einem durchdachten methodischen und didaktischen Konzept, ausreichenden und erfahrenen Lehrkräften, die den Mehraufwand in der Stundenvorbereitung leisten können, und einer gut organisierten Struktur können die oft aus der Not geborenen Kombiklassen zu einem Gewinn für Schülerinnen und Schüler werden. Ihre Lernentwicklung und Begabungen stehen im Vordergrund und treffen auf ein darauf abgestimmtes Lernangebot.
Diese Rahmenbedingungen müssen allerdings auch erfüllt sein, damit sich die Befürchtungen der Gegner von Kombiklassen nicht bewahrheiten.
Häufig gestellte Fragen zu Kombiklassen
Was sind Kombiklassen?
In jahrgangskombinierten Klassen (Kombiklassen) lernen Schülerinnen und Schüler verschiedener Klassenstufen gemeinsam in altersheterogenen Lerngruppen.
Welche Gründe gibt es für die Einführung von Kombiklassen?
Ein möglicher Grund für die Einführung von jahrgangskombinierten Klassen sind rückläufige Schülerzahlen, die den Bestand kleinerer Schulen gefährden. Andere Schulen entscheiden sich für das Konzept, um die positiven Effekte besonders auf leistungsmässig sehr heterogen zusammengesetzten Schülergruppen zu nutzen.
Welche Vorteile haben Kombiklassen?
- Individuelles Lernangebot: Kombiklassen eignen sich gut zur Differenzierung
- Kinder können abwechselnd in die Rollen der „Lehrenden“ und „Lernenden“ schlüpfen
- Die Kinder lernen voneinander • Soziale Kompetenzen werden gefördert
- Möglichkeit zur intensiveren Betreuung einzelner Kinder und zur Schülerbeobachtung
- Erleichtert die Eingewöhnung von Kindergartenkindern an der Schule
- Überspringen einer Klassenstufe wird erleichtert
Welche Nachteile haben Kombiklassen?
- Höherer Zeitaufwand bei der Stundenvorbereitung
- Grösserer Dokumentationsaufwand
- Grösserer Materialbedarf
- Unerfahrene Lehrkräfte können mit den Anforderungen überfordert werden
- Rahmenbedingungen müssen erfüllt sein, damit die Vorteile zum Tragen kommen
Quellen
www.km.bayern.de/jahrgangskombinierteklassen (inzwischen leider inaktiv)
www.wochenblatt.de/archiv/schreckgespenst-kombiklasse-aber-was-ist-daran-so-gruselig
www.ateacherslifestyle.ch/post/gastbeitrag-altersdurchmischtes-lernen
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