Die Pikler Pädagogik in Kindergarten und Kita: Autonomie und Bindung
Wer war Emmi Pikler?
Um die Pikler Pädagogik zu verstehen, ist es hilfreich, etwas über die Begründerin selbst zu erfahren. Emmi Pikler wurde 1902 in Wien geboren und arbeitete später als Kinderärztin in Budapest. Sie war davon überzeugt, dass Kinder von Natur aus kompetent und in der Lage sind, ihre Entwicklung selbst zu steuern. Diese Überzeugung bildete die Grundlage für ihre pädagogische Arbeit.
Grundprinzipien der Pikler Pädagogik
- Autonomie und Selbstständigkeit im freien Spiel: Ein zentrales Prinzip der Pikler Pädagogik ist die Förderung der Autonomie und Selbstständigkeit des Kindes. Dies bedeutet, dass Erzieherinnen und Erzieher den Kindern Raum und Zeit geben sollten, um Dinge selbst auszuprobieren und Entscheidungen zu treffen. Das kann bedeuten, dass ein Kind lernt, sich selbst anzuziehen oder sein Essen selbstständig zu essen. Es geht darum, das Kind in seiner individuellen Entwicklung zu unterstützen, ohne es zu überfordern.
- Beziehungsarbeit: Die Rolle des Erziehers/der Erzieherin: In der Pikler Pädagogik wird die Rolle des Erziehers oder der Erzieherin als Beobachter und Begleiter betont. Anstatt ständig einzugreifen oder zu dirigieren, sollen pädagogische Fachkräfte die Kinder in ihren Aktivitäten beobachten und dann einfühlsam reagieren. Dies ermöglicht es den Kindern, ihre eigenen Fähigkeiten zu entdecken und Selbstvertrauen aufzubauen.
- Die Rolle der freien Bewegungsentwicklung: Ein weiteres wichtiges Prinzip ist die freie Bewegungsentwicklung. Kinder sollten die Möglichkeit haben, sich frei zu bewegen und die Fähigkeiten ihres Körpers zu erkunden. Dies bedeutet, dass sie nicht zu Aktivitäten überredet werden sollten, die sie noch nicht selbstständig durchführen können. Dies fördert nicht nur die körperliche Entwicklung, sondern auch das Selbstbewusstsein der Kinder.
Praktische Anwendung in Kindergarten und Kita
Die Umsetzung der Pikler Pädagogik erfordert eine bewusste Gestaltung der Umgebung und des pädagogischen Alltags.
- Einrichtung und Raumgestaltung: Die Einrichtung sollte so gestaltet sein, dass sie den Kindern die Möglichkeit gibt, sich frei und sicher zu bewegen. Dies bedeutet, dass es genügend Platz für Bewegung gibt und dass die Möbel und Materialien die Autonomie der Kinder unterstützen.
- Tagesablauf und Routine: Ein strukturierter, aber flexibler Tagesablauf ist wichtig. Kinder profitieren von einer gewissen Vorhersehbarkeit, da ihnen dies Sicherheit vermittelt. Gleichzeitig sollte genügend Freiraum für spontane Aktivitäten und individuelle Interessen bleiben.
- Interaktion mit den Kindern: Erzieherinnen und Erzieher sollten einfühlsam und respektvoll mit den Kindern interagieren. Das bedeutet, dass sie auf die Bedürfnisse und Signale der Kinder achten und in ihrer Kommunikation geduldig und liebevoll sind.
Aktivitäten und Spiele im Einklang mit der Pikler Pädagogik
Es gibt eine Vielzahl von Aktivitäten und Spielen, die die Prinzipien der Pikler Pädagogik unterstützen. Dazu gehören beispielsweise das Wickeln in einer ruhigen und achtsamen Atmosphäre, das Anbieten von altersgerechten Materialien zum Entdecken und Experimentieren sowie das Spielen im Freien, um die Bewegungsfreiheit zu fördern. Auch das Pikler-Dreieck und sein Zubehör sind zentraler Bestandteil dieses pädagogischen Konzepts.
Aktivitäten rund um das Pikler-Dreieck
- Rettungsmission für Spielzeug: Diese schnelle Idee lässt sich mit ein paar ausgewählten Spielzeugen und Klebeband oder Wolle realisieren. Die Spielzeuge werden hierzu in unterschiedlicher Höhe an dem Pikler-Dreieck befestigt. Aufgabe der Kinder ist es nun, die Spielzeuge zu befreien. Wird Wolle verwendet, übt dies auch gleichzeitig das Lösen von Knoten oder Schleifen.
- Wettrennen mit Spielzeugautos: Wird eine passende Rampe am Pikler-Dreieck angebracht, können die Kinder lustige Wettrennen mit ihren Autos starten. Spielerisch werden so physikalische Gesetze ausprobiert und erforscht.
- Rechenschieber XXL: Auch die frühkindliche mathematische Förderung kann mit dem Pikler-Dreieck unterstützt werden. Papierstreifen oder kleine Ringe aus Poolnudeln wie bei einem Rechenschieber an den Streben des Pikler-Dreiecks anbringen. Der so entstandene Abakus lädt zum Zählen und Ausprobieren ein.
- Hindernis-Parcours: Neben dem Pikler-Dreieck stehen für eine komplette Bewegungswelt passende Rampen, Bögen und Wippen zur Verfügung, die in Kombination zu einem Parcours werden. Die Kinder klettern, wippen, kriechen und balancieren von Station zu Station und trainieren ihre motorischen Fähigkeiten.
- Webrahmen XXL: Handarbeit im Riesenformat, auch das ist mit dem Pikler-Dreieck möglich. Mit Stoffbahnen oder Tüchern wird direkt am Dreieck gewebt. Die farbenfrohe Beschäftigung fördert nicht nur die Motorik und die Kreativität der Kinder. Sind beide Seiten des Dreiecks komplett gewebt, ist ausserdem eine bunte und kuschelige Höhle aus dem Pikler-Dreieck entstanden.
Vorteile der Pikler Pädagogik
Die Anwendung der Pikler Pädagogik in Kindergarten und Kita bietet zahlreiche Vorteile:
- Förderung der emotionalen und körperlichen Entwicklung: Kinder, die in einer Umgebung aufwachsen, die ihre Autonomie respektiert, entwickeln ein gesundes Selbstbewusstsein und eine starke emotionale Bindung zu ihren Erzieherinnen und Erziehern. Die freie Bewegungsentwicklung unterstützt zudem die körperliche Gesundheit und Motorik.
- Stärkung der Bindung zwischen Kindern pädagogischen Fachkräften: Die Pikler Pädagogik legt grossen Wert auf die Beziehung zwischen Kindern und den Erzieherinnen und Erziehern. Durch einfühlsame Interaktion und die Betonung von Bindung entsteht ein Vertrauensverhältnis, das die Grundlage für eine erfolgreiche Begleitung der Entwicklung bildet.
- Schaffung einer entspannten und respektvollen Umgebung: Die Atmosphäre in einer piklerorientierten Einrichtung ist geprägt von Ruhe, Respekt und Achtsamkeit. Dies schafft eine entspannte Umgebung, in der Kinder sich wohl fühlen und sich frei entfalten können.
Herausforderungen und mögliche Lösungen
Die Umsetzung der Pikler Pädagogik kann Herausforderungen mit sich bringen. Einige Kinder sind vielleicht nicht sofort bereit, ihre Autonomie zu entfalten, und sich selbstständig zu bewegen. Hier sind einige mögliche Herausforderungen und Lösungsansätze:
Häufige Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Pikler Pädagogik
- Autonomie: Einige Kinder sind es gewohnt, dass Erwachsene ihnen alles vorgeben. Sie könnten zu Beginn Unsicherheit zeigen, wenn sie mehr Freiheit bekommen.
- Zeit und Geduld: Die Umsetzung der Pikler Pädagogik erfordert Zeit und Geduld, da es eine gewisse Umstellung des pädagogischen Ansatzes erfordert.
- Elternkommunikation: Eltern müssen in den Prozess einbezogen werden, um sicherzustellen, dass die Prinzipien der Pikler Pädagogik auch zu Hause unterstützt werden.
Tipps zur Bewältigung dieser Herausforderungen
- Einfühlsame Begleitung: Manche Kinder tun sich schwer, Autonomie auszukosten und auszuleben. Daher ist es wichtig, einfühlsam zu begleiten und den Kindern Zeit zu geben, sich an die neuen Möglichkeiten zu gewöhnen.
- Fortbildungen und Schulungen: Nehmen Sie an Schulungen und Fortbildungen zur Pikler Pädagogik teil, um Ihre Kenntnisse zu vertiefen und praktische Tipps zu erhalten.
- Elterngespräche: Sprechen Sie regelmässig mit den Eltern über die Fortschritte ihrer Kinder und wie sie die Prinzipien der Pikler Pädagogik zu Hause unterstützen können.
Die Pikler Pädagogik bietet eine wertvolle Perspektive für Erzieherinnen und Erzieher, die nach einem Ansatz suchen, der die Autonomie und die individuellen Bedürfnisse der Kinder in den Mittelpunkt stellt. Durch die Umsetzung der Grundprinzipien in der Einrichtung, die Geduld bei der Bewältigung von Herausforderungen und die Integration der Elternarbeit kann die Pikler Pädagogik zu einer bereichernden Erfahrung für Kinder und Erzieher gleichermassen werden.
Quellen:
- Tardos, A. (2001). "Die Pikler-Pädagogik: Maria M. Pearsall und Lóczy – ein ungarisches Kinderhaus in den zwanziger Jahren." Walter Verlag.
- Moss, P., & Dahlberg, G. (2006). "Ethical issues in 'pedagogical documentation': a discussion with reference to the Reggio Emilia approach." Educational Action Research, 14(2), 187-205.
- Gerber, M. A., & Johnson, A. M. (2006). "Your self-confident baby: How to encourage your child's natural abilities--from the very start." Wiley.
- Pikler Gesellschaft Deutschland e. V.
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