Tipps für introvertierte Lehrerinnen und Lehrer
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Auf den ersten Blick ist der Lehrerberuf wie für Extrovertierte geschaffen: Man ist praktisch nie alleine, spricht ständig mit oder vor Menschen und hat ein ganzes Lehrerzimmer voller Kolleginnen und Kollegen zum Austausch.
Ist hier auch Platz für Introvertierte?
Was ist Introversion?
Introversion bedeutet „nach innen gewandt“ und ist ein Persönlichkeitsmerkmal. Introvertierte Menschen laden ihre Akkus ganz für sich in ruhigen Situationen auf. Der Fokus ist mehr auf das eigene Innenleben gerichtet. Es wird geschätzt, dass ungefähr 30 bis 50 % der Menschen eher introvertiert sind. Introversion tritt, wie Extraversion, in verschiedenen Ausprägungen auf. Man besitzt also in der Regel Anteile beider Seiten in verschiedener Gewichtung.
Warum bin ich introvertiert?
Neurowissenschaftliche Untersuchungen konnten zeigen, dass Introversion und Extraversion biologisch begründet sind. Bei introvertierten Menschen wird der frontale Kortex, der u. a. für Erinnerung, planerische und problemlösende Tätigkeiten zuständig ist, stärker durchblutet. Selbst bei geringen Reizen ist die neuronale Aktivität hoch. Sie sind von äusseren Reizen deshalb schneller erschöpft und benötigen Zeit für sich, um die Energiereserven wieder aufzuladen.
Was macht introvertierte Menschen aus?
In einer Gruppe von Menschen, v. a. wenn diese nicht zum engen Freundeskreis zählen, nehmen introvertierte Personen oft eine beobachtende, zuhörende Rolle ein. Introvertiertheit ist aber keine Schwäche! Introvertierte
- sind gute Zuhörer,
- durchdenken ihre Aktionen sorgfältig,
- sind gewissenhaft,
- haben eine gute Beobachtungsgabe,
- sind eher diplomatisch als konfrontativ,
- haben eine ausgeprägte Konzentrationsfähigkeit,
- reflektieren sich selbst und
- haben eine ruhige Art, die oft als angenehm wahrgenommen wird.
Ist der Lehrerberuf eine gute Wahl für Introvertierte?
Es gibt viele Lehrerinnen und Lehrer, die sich eher dem introvertierten Spektrum zuordnen. Anders als manche glauben, bedeutet Introvertiertheit nämlich nicht zwingend, auch schüchtern und ängstlich zu sein oder den Kontakt mit anderen Menschen nicht zu mögen.
Mag man den Kontakt zu anderen Menschen nicht, ist der Lehrerberuf wahrscheinlich wirklich nicht das Richtige. Auch schüchterne Introvertierte haben es schwerer, wobei man natürlich mit seinen Aufgaben wachsen kann.
Eine Voraussetzung ist – wie bei allen Lehrerinnen und Lehrern – Freude an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zu haben.
Wenn Sie sich unsicher sind, ob Lehrerin bzw. Lehrer die richtige Berufswahl für Sie ist, haben wir hier für Sie Tests und Selbsterkundungsverfahren zusammengetragen: „Ist Lehramt wirklich die richtige Wahl?“
Ein noch klareres Bild kann sich durch ein Praktikum an einer Schule ergeben.
Für Introvertierte ist besonders das Referendariat und der Start an einer neuen Schule durch die neue Umgebung, neue Situationen und die vielen unbekannten Gesichter eine noch anstrengendere Phase als für andere. Sie benötigen mehr Zeit, um anzukommen und das Neue zu verarbeiten. Das gründliche Durchdenken von Situationen kann aber auch helfen, diese gut zu bewältigen! Wichtig sind eine gute Struktur und eine Planung, die auch Auszeiten beinhaltet.
- Der ruhige und zurückhaltende Charakter von introvertierten Lehrkräften kann von Kolleginnen und Kollegen als arrogant oder desinteressiert missdeutet werden. Da Introvertierte aber in der Regel sehr verlässliche, loyale Personen sind, werden sie meist schnell im neuen Kollegium geschätzt – selbst, wenn sie von manchen als etwas schrullig empfunden werden, sollten sie z. B. in der Mittagspause statt im geselligen Lehrerzimmer alleine im Auto sitzend entdeckt werden …
- In Konferenzen und Besprechungen sind sie mehr Zuhörer als Fragesteller und reden oft nur, wenn es sich um wirklich wichtige Themen handelt. Konferenzen nur mit Introvertierten, würden sich positiv auf die Besprechungsdauer auswirken :)
- Nicht jede Lehrperson muss ein Kumpeltyp sein, manchmal ist etwas Distanz nicht das Schlechteste! Bei den Schülerinnen und Schülern kommen introvertierte Lehrerinnen und Lehrer durch ihre ruhige, klare Art oft gut an. Besonders introvertierte Kinder und Jugendliche wissen das zu schätzen.
- Introvertierte Lehrerinnen und Lehrer haben häufig die stilleren Kinder besser im Blick und auch mehr Verständnis für ihr Verhalten.
- Durch ihre gute Beobachtungsgabe bemerken sie schnell, wenn einzelne Kinder Probleme haben.
- In der Klasse funktionieren viele Introvertierte deshalb gut, auch weil Lehrkräfte viele Freiheiten haben, wie sie den Ablauf planen und strukturieren können.
Nervenaufreibender können dagegen Elterngespräche und Elternstammtische sein. Auch Weihnachtsfeiern und Lehrerausflüge. Für die allermeisten Extrovertierten unverständlich :D
In einer Umfrage wollte Sofatutor.com wissen, was eine gute Lehrkraft ausmacht. 31 % der befragten Lehrerinnen und Lehrer gaben dort an, dass man gut vorbereitet und strukturiert sein sollte. Dagegen meinten nur 9 %, dass man es jederzeit schaffen sollte, die Schülerinnen und Schüler gut zu unterhalten. Weitere Anhaltspunkte für eine gute Lehrkraft, die auf eine breite Zustimmung stiessen, waren:
- Vertrauensperson für Schülerinnen und Schüler
- auf die Situation angepasste Reaktion auf Unterrichtsstörungen
- klare und deutliche Kommunikation
- Selbstreflexion und Umsetzung von Feedback
- Empathie
Planung, überlegte Kommunikation, Selbstreflexion und Empathie zählen zu den Stärken vieler Introvertierten :)
8 Tipps für introvertierte Lehrerinnen und Lehrer
1. Planen Sie Auszeiten ein
Für Introvertierte ist es extrem wichtig, sich feste Auszeiten nach der Schule und am Wochenende zu nehmen, um die Eindrücke des Tages verarbeiten zu können! Am besten tragen Sie sich die Pausen im Kalender ein, damit diese Zeiten geblockt sind.
Natürlich gilt das auch für Extrovertierte! Während extrovertierte Personen aber auch bei einem geselligen Abend mit Freunden entspannen und Kraft tanken, benötigen Introvertierte mehr Zeit für sich, um nicht zu schnell erschöpft und überlastet zu sein.
2. Längere Unterrichtspausen und Springstunden nutzen
Die längeren Pausen und Springstunden eignen sich z. B. für Auszeiten. Natürlich wäre auch hier bestimmt etwas zu tun, für viele Introvertierte ist es aber sinnvoller, Arbeit mit nach Hause zu nehmen und sie in einer ruhigen Umgebung zu erledigen. Die Pausen und Freistunden können Sie dann zumindest zum Teil für Me-Time nutzen.
Wenn Sie keine Möglichkeit haben, in der Schule einen ruhigen Raum zu finden (Ruheräume für Lehrkräfte sind ideal – aber selten), kann zur Not das Auto als Rückzugsort dienen oder ein Spaziergang. Zwingen Sie sich nicht mit anderen die Mittagspause zu verbringen, wenn Sie das Bedürfnis haben, allein Ihr Buch weiterlesen zu wollen.
Wie Sie Pausen einplanen und effektiv zur Erholung nutzen können, haben wir hier zusammengefasst: „Entspannung in den Pausen“
3. Bedürfnisse formulieren
Wenn Sie das Gefühl haben, dass andere Sie aufgrund der Auszeiten oder dem Fehlen bei ausserschulischen Treffen unter Kolleginnen und Kollegen für seltsam, unsozial oder arrogant halten, können Sie den Grund für Ihre Bedürfnisse ansprechen. Das kann Überwindung kosten, aber wenn Ihre Kolleginnen und Kollegen Sie verstehen, kann das Ihre Beziehungen und die Arbeitsatmosphäre verbessern.
4. Versuchen Sie nicht, sich in extrovertierte Verhaltensweisen zu zwingen
Wie Beth Buelow in ihrem Buch „The Introvert Entrepreneur: Amplify Your Strengths and Create Success on Your Own Terms” schrieb, geht es nicht darum, pseudo-extrovertiert zu werden, sondern Ihre wertvollen Eigenschaften als Introvertierter/Introvertierte anzuerkennen. Introversion ist Teil Ihrer Persönlichkeit und nichts, wogegen Sie ankämpfen sollten.
5. Elterngespräche vorbereiten
Vielen Introvertierten sind Telefonate ein Graus. E-Mails haben den Vorteil, dass Zeit bleibt, um die Antwort gut zu durchdenken. In den meisten Fällen sind Sie als Lehrkraft nicht gezwungen, eine Telefonnummer anzugeben, eine E-Mail-Adresse reicht völlig.
Sollte doch ein direktes Gespräch nötig sein, kann dieses im Rahmen Ihrer Sprechstunde stattfinden. Vorab können Sie die Eltern bitten, Ihnen ihr Anliegen per Mail zu schildern. So können Sie sich in Ruhe vorbereiten, was den Stress schon deutlich reduzieren kann.
6. Grübeln reduzieren
Introvertierte neigen dazu, Gespräche sowohl vor als auch nach dem Gespräch in Gedanken durchzugehen. Der Vorteil: Selbstreflexion und besonnene, durchdachte Gespräche.
Der Nachteil: Das Grübeln, ob man nicht vielleicht doch etwas Dummes gesagt hat oder etwas, das falsch aufgefasst werden kann. Wer das Grübeln nicht stoppen kann, verbraucht wertvolle Zeit und Energie und bekommt darüber hinaus schlechte Laune.
Es hilft, sich im ersten Schritt darüber bewusst zu werden, dass man mal wieder ins Grübeln geraten ist. Eine Massnahme dagegen stammt aus dem Bereich der Meditation: Stellen Sie sich die negativen Gedanken als Wolken vor, die Sie mit dem Wind einfach weiterziehen lassen und nicht mehr festhalten.
Oder machen Sie sich bewusst, was an dem Gespräch Ihnen Sorgen macht. Ist es wahrscheinlich, dass Ihre Sorgen berechtigt sind? Nicht, dann schieben Sie die Gedanken weg.
Manchmal hilft es, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen: Was hätten Sie gedacht, hätte man das Gespräch mit Ihnen geführt. In den meisten Fällen hätten Sie es wahrscheinlich schon vergessen. Und falls nicht: Würde es helfen, Ihren Gesprächspartner auf Ihre Bedenken anzusprechen, um sie ggf. aus dem Weg zu räumen?
7. Ruheinseln im Lehrerzimmer schaffen
In vielen Schulen ist das Lehrerzimmer Arbeitsraum, Kaffeeküche, Gesprächsraum und Pausenraum in einem. Keine guten Grundvoraussetzungen zum konzentrierten Arbeiten oder für Erholungsphasen. Gibt es keine Ausweichmöglichkeiten wie Ruheräume, Lehrerunterrichtszimmer, Konferenzräume oder leere Klassenzimmer, kann Ihnen ein Noise-Cancelling-Kopfhörer helfen, etwas Ruhe zu finden.
8. Arbeiten im Team
Als introvertierte Person können Sie wahrscheinlich besser alleine als in Gruppen arbeiten. Das bedeutet aber nicht, dass Sie kein Teamplayer sind!
Trifft sich z. B. Ihr Fachbereich oder Ihre Schulentwicklungsgruppe, um gemeinsam etwas auszuarbeiten, können Sie für sich bereits einige Punkte vorbereiten. Während Extrovertierte gut darin sind, spontan und aus dem Gespräch heraus Ideen zu entwickeln, können Sie so Ihre Stärke ausspielen und in Ruhe über das Thema nachdenken, um zielführende Massnahmen und Vorschläge zu finden.
Fazit
In unserer Welt gelten oft die Lauten, die schnell und schlagfertig reagieren, als Vorbilder. Von den Leisen wird nicht selten gefordert, dass sie sich anpassen und überwinden sollen, um auf andere zuzugehen und sich mehr zu beteiligen. Dabei sind Zuhören, Beobachten, Nachdenken und überlegtes Handeln so wichtige Kompetenzen, von denen nicht zuletzt Schülerinnen und Schüler profitieren können!
Es ist wichtig, dass Kinder in der Schule sowohl introvertierte wie extrovertierte Lehrerinnen und Lehrer mit ihren unterschiedlichen Stärken und Herangehensweisen an den Beruf als Gegenüber haben.
Quellen
- Quarks: Darum leiden auch Introvertierte unter dem Kontaktverbot
- Introvertiertheit – Introversion (Stangl, 2022). Stangl, W., Introvertiertheit – Introversion – Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
- Introvertdear.com: 5 Ways Introverted Teachers Excel in the Classroom
- Team Introvertiert: Das Gedankenkarussell stoppen: Meine 5 besten Techniken gegen das Grübeln
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