Sabine Landua ist integrative Lerntherapeutin (M.A.) und Lerncoach. In ihrer Praxis Wortsalat & Zahlenmix arbeitet sie mit Schülerinnen und Schülern bis ins Erwachsenenalter. Auch in ihrem Blog befasst sie sich mit den Themen Lerncoaching, Lesen, Rechtschreibung und Rechnen.
Fehler als Chance – eine neue Perspektive auf Scheitern in der Schule
Fehler zuzugeben oder offen darüber zu sprechen, fällt selbst vielen Erwachsenen schwer. Doch wie können wir es schaffen, eine positive Fehlerkultur in die Schulen zu bringen? Oft sind es Vorbilder oder Geschichten von genialen Erfindungen, die uns zeigen, dass alles mit einem Fehler begann und sich zu etwas Einzigartigem entwickelte.
Hier stellen wir Ihnen 15 Tipps zum Umgang mit Fehlern in der Schule vor.
Fehltritte als Sprungbrett: vom Misserfolg zum Erfolg
Fehler sind in dem Moment, in dem sie passieren, oft unangenehm – eine schlechte Note, ein misslungener Versuch – und darüber zu sprechen, fällt vielen schwer. Doch alle machen Fehler, manche sogar mehrmals. Mit der richtigen Perspektive, der „Fehlerbrille“, können aus diesen Fehltritten grossartige Dinge entstehen.
Wussten Sie, dass die beliebten Post-its aus einem Fehler heraus entwickelt wurden? Oder dass die Gründer von mymuesli fast gescheitert wären? Heute sind beide nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Eine positive Fehlerkultur zu fördern, bedeutet, solche Geschichten in den Schulalltag zu integrieren und Schülerinnen und Schülern zu zeigen, dass Scheitern der erste Schritt zum Erfolg sein kann.
Wenn Fehler belasten
Schülerinnen und Schüler mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) oder Rechenschwäche sind häufig nicht nur beim Lernen belastet, sondern auch psychosozial. Dies zeigen unter anderem die Ergebnisse der PuLs-Studie der Duden Institute für Lerntherapie, die von Dr. Lorenz Huck und Dr. Astrid Schröder im Jahr 2015 durchgeführt wurde. Die Studie ergab, dass 69,7 % der untersuchten Schülerinnen und Schüler mindestens unter einer Form psychosozialer Belastung litten, während 15,8 % sogar von mindestens drei verschiedenen Problemen betroffen waren.
Diese Zahlen verdeutlichen, wie wichtig es ist, präventiv zu handeln. Doch was passiert, wenn diese Schülerinnen und Schüler älter werden und keine angemessene Unterstützung erhalten? Psychosoziale Auffälligkeiten wie Ängste, Stress oder sozialer Rückzug können sich weiter verstärken und langfristige Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen haben.
Deshalb liegt es in der Verantwortung von Lehrkräften und Schulen, diese Schülerinnen und Schüler nicht nur beim Lernen zu begleiten, sondern auch emotional zu stärken. Eine präventive Herangehensweise und frühzeitige Förderung können helfen, die psychosozialen Belastungen zu verringern und den Lernenden eine positive Zukunftsperspektive zu bieten.
Auf dem Weg zu einer positiven Fehlerkultur
Der ständige negative Blick auf Fehler kann dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler sich über ihre Misserfolge definieren. Sie verlieren das Vertrauen in ihre Fähigkeiten und entwickeln ein negatives Selbstbild, das sie in ihrem schulischen Fortschritt hemmt. Im Gegensatz dazu ermöglicht ein positiver Blick auf Fehler, sie als wertvolle Helfer im Lernprozess zu sehen – als Chancen zur Weiterentwicklung. Schon kleine Schritte in Richtung einer positiven Fehlerkultur können grosse Veränderungen bewirken.
1. Vorbild sein
Ein wichtiger erster Schritt auf diesem Weg ist, dass auch wir Erwachsene bereit sind, Fehler einzugestehen. Wir sollten Schülerinnen und Schülern als Vorbilder dienen und zeigen, dass Fehler zum Leben und Lernen gehören. Indem wir den konstruktiven Umgang mit eigenen Fehlern vorleben, zeigen wir Kindern und Jugendlichen eine Haltung, die sie übernehmen können: den eigenen Fehler anerkennen und dem Ärger darüber Luft machen, den Fehler relativieren („Wir alle machen Fehler./Ist jetzt auch nicht so schlimm.“), Ursachen suchen („Wahrscheinlich war ich abgelenkt / habe noch nicht genug geübt.“ etc.), einen Plan für die Zukunft ausarbeiten („Das nächste Mal …“).
Wenn wir als Erwachsene diese Haltung verinnerlichen und authentisch leben, können wir nachhaltig zur Entwicklung einer positiven Fehlerkultur in der Schule beitragen.
2. Umdenken in der Bewertung
Ein weiterer zentraler Baustein ist ein Umdenken in der Bewertung von Fehlern im Unterricht. In einer positiven Fehlerkultur werden Fehler nicht als Grundlage für Beurteilungen, sondern als Ausgangspunkte für individuelle Förderung betrachtet. Anstatt summativer Diagnostik, wie z. B. Klassenarbeiten am Ende einer Lerneinheit, kann eine begleitende Lernverlaufsdiagnostik eingesetzt werden, die kontinuierlich den Lernstand erfasst.
Diese Form der Diagnostik zeigt nicht nur auf, was bereits gelernt wurde, sondern auch, welche Bereiche noch weiterentwickelt werden müssen. Sie dient als Ausgangspunkt für gezielte Fördermassnahmen und kann ressourcenschonend durch computergestützte Tools wie z. B. Levumi, quop oder Lernlinie umgesetzt werden. Weitere Möglichkeiten finden sich unten in unseren Tipps.
3. Fehler als Lernhelfer im Unterricht
Um eine positive Fehlerkultur zu fördern, ist es zudem sinnvoll, Fehler direkt in den Unterricht zu integrieren. Wenn wir den Fokus vom reinen Ergebnis hin zum Lernprozess verschieben, schaffen wir wertvolle Gesprächsanlässe, um über die Gedanken und Annahmen hinter einem Fehler zu sprechen. Dies bietet den Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit, ihre Denkprozesse zu verbalisieren, Meinungen zu vertreten und das Argumentieren zu üben. Dabei können förderliche Vorstellungen gestärkt und hinderliche Denkmuster reflektiert werden.
4. Die Rolle der Sprache
Eine weitere Schlüsselrolle beim Aufbau einer positiven Fehlerkultur spielt die Sprache. Statt nur „richtig“ oder „falsch“ als Rückmeldung zu geben, sollten wir differenzierte, ermutigende Feedbacks im Sinne des Growth Mindset geben. Die Formulierung „Das kannst du NOCH nicht.“ beispielsweise vermittelt Hoffnung und Motivation, weiter zu lernen, vielleicht mit einer anderen, besseren Strategie. Während „Das kannst du nicht.“ eine endgültige Sackgasse signalisiert und die Motivation nimmt, es weiter zu versuchen. Diese kleine Veränderung in der Ausdrucksweise kann dazu beitragen, dass Schülerinnen und Schüler ihren Lernprozess optimistischer betrachten und sich weiterentwickeln möchten.
Die besten Tipps zum Umgang mit Fehlern aus dem Lerntherapeutennetzwerk
Das Lerntherapeutennetzwerk ist ein Zusammenschluss von Lerntherapeutinnen und -therapeuten aus Deutschland und Österreich, die mit Schülerinnen und Schülern mit Lernschwierigkeiten arbeiten. Einige von uns unterstützen auch direkt an den Schulen.
Uns ist bewusst, dass nicht jeder Tipp in jeder Situation umsetzbar ist, da die Rahmenbedingungen, Ressourcen und das Alter der Schülerinnen und Schüler eine entscheidende Rolle spielen.
Unser Angebot: Wir geben Impulse und Anregungen – wählen Sie einfach das aus, was zu Ihrer Situation passt.
Bewertungsfreie Zeiten – Tipp von Susanne Seyfried
Wöchentliche Kurztests können die Lernmotivation der Schülerinnen und Schüler hemmen. Nur wenn wir die Denkprozesse der Schülerinnen und Schüler im Lernprozess einbeziehen, können Fehler als wertvolle Lernchancen genutzt werden. Sie bekommen hier Anregungen, was sich anstelle wöchentlicher Kurztests besser eignet.
Mehr dazu im Blogbeitrag: Fehler als Chance: Warum wöchentliche Kurztests dem Lernen schaden
Könnernachweise – Tipp von Nicole Zwiener
Von klein auf lernen wir, schneller wahrzunehmen, was fehlt oder falsch ist, was nicht der Norm entspricht – oft selbst dann, wenn das Positive eigentlich überwiegt. Doch dieses Denken lässt sich verändern, auch in der Schule: Statt „Tests“ schreiben wir „Könnernachweise“. Die Schülerinnen und Schüler zeigen, wie viel sie bereits gelernt haben und was sie jetzt „können“. Der Zeitpunkt für den Könnernachweis darf individuell gewählt werden.
Wenn wir durch die „Könnerbrille“ schauen, lässt sich bei jedem Kind ganz viel erkennen, benutzen muss sie jede und jeder selbst.
Sprüche-Kunst – Tipp von Nicole Gerbatsch
Viele Kinder und Jugendliche empfinden Fehler als Makel und meiden sie, was zu mangelndem Selbstvertrauen und fehlender Eigeninitiative führt. In der Lerntherapie wird eine positive Fehlerkultur gefördert, um Fehler als wertvolle Lerngelegenheiten zu betrachten. Mit kreativen Projekten, wie dem Gestalten von Leinwänden mit motivierenden Sprüchen, entwickeln die Schülerinnen und Schüler eine offenere Einstellung zu Fehlern und stärken ihr Selbstbewusstsein.
Mehr dazu im Blogbeitrag: Positive Fehlerkultur in der Lerntherapie
Erfolgslisten – Tipp von Sabine Landua
Die Erfolgsliste ist ein effektives Werkzeug, um den Fortschritt von Schülerinnen und Schülern zu dokumentieren. Sie lenkt den Fokus weg von Fehlern hin auf erreichte Erfolge, indem aktuelle Leistungen mit früheren verglichen werden. So erhalten Schülerinnen und Schüler einen besseren Einblick in ihren Lernprozess und können die Motivation für das Üben leichter aufrechterhalten.
Mehr dazu im Blogbeitrag: Erfolge feiern, statt Fehler zählen – die Erfolgsliste
Handschriftliche Rückmeldungen – Tipp von Pia Meyer
Kleine handschriftliche Notizen sind für die Kinder oft sehr wertvoll. Die positiven Rückmeldungen werden häufig an besonderen Orten aufbewahrt, wie im Mäppchen, im Hausaufgabenheft oder an der iPad-Hülle. Die Tipps hingegen bleiben oft in der Nähe, zum Beispiel auf dem Schreibtisch oder in der iPad-Hülle, sodass sie jederzeit präsent sind.
Mehr Infos im Blog: 4 Tipps für eine positive Fehlerkultur in deinem Unterricht
Vorbild sein – Tipp von Anke Haefele
Auch Lehrerinnen und Lehrer machen Fehler und sollten dies auch offen kommunizieren und authentisch einen positiven, konstruktiven, ggf. auch humorvollen Umgang damit immer wieder vorleben – besonders bei den Kleineren, die noch sehr „am Modell lernen“.
Das Lupensymbol – Tipp von Sylvia Kellendonk
Aus der Lupe wird eine Sonne, wenn der Fehler korrigiert ist – eine Idee von Caroline St. Ange, die zeigt, wie aus einem Fehler etwas Positives und Konstruktives entstehen kann. Dabei werden Fehler nicht nur markiert, sondern als Ausgangspunkt genutzt, um gemeinsam über Lösungswege zu sprechen und Strategien zu entwickeln.
Erfindungen durch Fehler – Tipp von Birgit Mersmann
Stellt man die Buchstaben des Wortes „Fehler“ um, entsteht daraus das Wort „Helfer“. Fehler helfen uns, uns weiterzuentwickeln. Kinder dürfen keine Angst haben, Fehler zu machen, und es ist wichtig für sie, dieses Gefühl, das ein Fehler in ihnen auslöst, auszuhalten und daran zu wachsen.
Einige grossartige Dinge sind aus Fehlern entstanden:
- Radiergummi: Früher wurde mit Brotkrümeln radiert. Nur, weil ein Ingenieur 1770 nicht richtig hingeschaut und aus Versehen ein Stück Kautschuk erwischt hat, ist das Radiergummi entstanden.
- Cornflakes: Sie entstanden 1894 zufällig, da die Brüder Kellogg gekochten Weizen versehentlich stehen liessen, dieser austrocknete und bei der Weiterverarbeitung in Flocken zerbrach.
- Post-its: 1968 sollte ein Wissenschaftler einen neuen Klebstoff entwickeln. Dieser war aber zu schwach und liess sich zu leicht ablösen. Erst Jahre später erkannte jemand den Vorteil dieses Klebers und so entstanden die Post-its.
Fehlerdetektivinnen und -detektive – Tipp von Bettina Häntsch
Gerade für Schülerinnen und Schüler, die oft und viele Fehler machen, kann die Auseinandersetzung mit den eigenen Fehlern entmutigend sein. Um diesen Frust zu vermeiden, könnten Lernende mit ähnlichen Fehlerschwerpunkten in Kleingruppen als Fehlerdetektive und -detektivinnen ermitteln: Aus anonymisiertem Material früherer Übungen decken sie Fehler anderer auf und besprechen diese. So ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen Fehlertyp motivierender, wenn man sich nicht mit den selbst gemachten Fehlern beschäftigen muss.
Erwischen lassen – Tipp von Stefanie Schmidt
Ich greife gerne Fehler, die ein Kind macht, auf und mache diese in einer Übung selbst. Die Kinder lieben es, mich zu erwischen. Wir sprechen dann über „meinen“ Fehler und das Kind gibt mir Tipps, wie ich ihn vermeiden könnte oder welchen Rechtschreib-Trick ich anwenden kann.
Wertschätzendes Feedback – Tipp von Silke Hübner
Um den konstruktiven Umgang mit Fehlern oder Kritik zu schulen, ist ein respektvolles und wertschätzendes Feedback auch von Mitschülerinnen und Mitschülern wichtig. So macht es z. B. Sinn, die Kinder nach einem Referat o. Ä. zunächst selbst ein Feedback geben zu lassen – allerdings unter folgender Voraussetzung: Wir starten immer erst mit einem positiven Punkt („Mir hat gut gefallen, …“/ „Ich fand gut, dass …“ – hier können auch Formulierungskärtchen helfen!). Erst danach folgen selbst formulierte Tipps für das nächste Mal. Dies schult nicht nur die Selbstreflexion der Kinder, sondern hilft auch, im Klassenzimmer von Anfang an eine positive Fehlerkultur zu vermitteln.
Fehler-Memo – Tipp von Michaela Zieglmeier
Bei diesem Spiel liegt der Fokus auf dem Erkennen und Korrigieren von Fehlern. So geht’s:
Es werden Kartenpaare erstellt, bei denen auf einer Karte eine Aufgabe oder ein Satz mit einem Fehler steht und auf der anderen Karte die korrekte Lösung. Die Kinder müssen das richtige Paar finden, indem sie die fehlerhafte Karte identifizieren und sie mit der korrekten Karte verbinden. Wenn ein Kind ein Paar aufdeckt, muss es erklären, warum die Lösung korrekt ist und was der Fehler war. Wer die meisten Karten hat, gewinnt.
Ein, wie ich finde, grossartiges Spiel, da es gut differenzierbar ist und den Kindern ganz viel Spass macht.
Fehler des Tages – Tipp von Silke Heere-Lehmann
Jeden Tag oder an einem bestimmten Tag in der Woche wird im Unterricht ein „Fehler des Tages“ angeschaut – dies könnte ein Beispiel aus einer echten Aufgabe sein (anonymisiert) oder ein typischer Fehler, den viele Schülerinnen und Schüler machen. Die Klasse diskutiert gemeinsam, warum dieser Fehler passiert und wie man ihn vermeiden kann.
Von Clowns lernen – Tipp von Barbara Wenning
Clowns, die Fehler machen, sind lustig und machen sie sympathisch. Wir im richtigen Leben können uns die Clowns zum Vorbild nehmen und ausprobieren, mit welcher Haltung wir Fehler betrachten.
Mehr dazu im Blogbeitrag: Was kann ich im Umgang mit Fehlern von Clowns lernen?
Die Fehlerwörter-Sammelkiste – Tipp von Sabine Walker
Hier arbeiten wir mit den eigenen Fehlerwörtern: In der ersten Kiste werden Fehlerwörter des Kindes gesammelt. Daraus gestalte ich verschiedene Spiele wie ein Vor- und Zurückspiel, Memo, „Welches Wort fehlt?“ und spiele sie mit dem Kind. Nach einigen Wochen überprüfen wir, wie viele der Wörter richtig geschrieben werden können. Diese richtig geschriebenen Wörter kommen dann in eine zweite Fehlerwörter-Sammelkiste. Wie toll, wenn immer mehr Wörter in der zweiten Kiste zu finden sind.
Mehr dazu im Blogbeitrag: Positive Fehlerkultur
Gastbeitrag von Sabine Landua und Susanne Seyfried
Winkelriedstrasse 82
8203 Schaffhausen
Impressum
Datenschutz
Cookies
Winkelriedstrasse 82
8203 Schaffhausen
Impressum
Datenschutz
Cookies