Digital selbstbestimmt im Kontext Schule
Christian Schwier – stock.adobe.com
Für die meisten von uns bedeuten Datenschutz und Datensicherheit vor allem eins: Mehraufwand. Unzählige Unterschriften und Einverständniserklärungen, Backups und Updates. Vor allem der Datenschutz hat ein Image-Problem, weswegen ich Ihnen gern einen neuen Begriff anbieten würde, den wir kollektiv mit Leben und Begeisterung füllen können: digitale Selbstbestimmung!
Das Konzept der digitalen Selbstbestimmung
Die Grundlage stellt unser Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar: Jede Person darf entscheiden, wer welche Daten über sie hat und was damit passiert.
Dieses Grundrecht gilt auch im Kontext Schule. Sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrkräfte dürfen also selbst entscheiden, welche Informationen über sie wie erhoben und verarbeitet werden. Denn Daten sind nichts anderes als digitalisierte Informationen über uns, aus denen sich eine Menge ableiten lässt.
Regelungen dazu sind in der DSGVO verankert, deren Ziel es gewiss nicht ist, Ihnen das Leben schwerer zu machen. Die DSGVO dient dem Schutz unserer Daten vor kommerzieller und behördlicher Ausbeutung. Zudem beinhaltet sie Auflagen zur Datensicherheit, damit unsere Daten nicht von Cyberkriminellen oder – im Kontext Kinder – von Pädophilen missbraucht werden können.
Digitale Selbstbestimmung ist also gelebter Datenschutz und ein wichtiges Element, um Kinder und Jugendliche vor Manipulation und Gefahren zu schützen.
Sind wir nicht schon digital selbstbestimmt?
Mittlerweile gibt es iPad-Klassen, WhatsApp-Klassengruppen, Unterricht per Zoom und auch die Microsoft Office Suite hält sich hartnäckig auf Schulrechnern. Lehrkräfte und Kinder nutzen diese technischen Errungenschaften ganz selbstverständlich … aber auch selbstbestimmt? Solch eine Nutzung beinhaltet sowohl das Wissen um die eigenen Datenspuren als auch deren Konsequenzen.
Sie denken, was digital passiert, bleibt digital? Leider nein. Denn schlaue Algorithmen wissen aus den vermeintlich nichtigsten Daten sensible Informationen abzuleiten: Anhand weniger Likes in sozialen Netzwerken lassen sich Sexualität und Substanzkonsum ableiten, aus den Metadaten von WhatsApp oder Gmail lassen sich Charaktereigenschaften entnehmen und unser Tippverhalten gibt Auskunft über unsere aktuelle Stimmung (was insbesondere für Live-Werbung in Apps und auf Webseiten genutzt wird). Diese Informationen gelten als Grundlage für ein personalisiertes Internet. Weitere Informationen finden Sie hier: Cracked Labs. Institut für kritische digitale Kultur: Durchleuchtet, analysiert und einsortiert.
Sowohl Suchergebnisse als auch Beiträge in den sozialen Medien, Produkte und Preise in Onlineshops, aber auch Stellenausschreibungen und Zugänge zu anderen Ressourcen werden uns nicht neutral präsentiert, sondern auf Basis unserer Daten angepasst und auch vorenthalten. Das kann praktisch sein, aber auch gefährlich. Indem wir nur sehen, was unserer Meinung entspricht, verlieren wir unsere Kompromissbereitschaft, die sich gerade im Kindes- und Jugendalter entwickelt. Diese Filterblaseneffekte bergen Radikalisierungspotenzial und machen manipulierbar. Gerade demokratiefeindliche Parteien nutzen diese Mechanismen, um Nachwuchs zu rekrutieren.
Die Personalisierung des Internets führt allerdings auch dazu, dass Ungleichheiten verstärkt werden: Webseiten- und App-Tracker erkennen anhand der IP-Adresse, an welcher Schule sich welches Kind befindet. Das geht auch ganz ohne Login bei Microsoft und Co., obwohl dieser die Zusammenführung der Daten enorm erleichtert. Kinder an vermeintlichen „Brennpunktschulen“ bekommen so andere Inhalte gezeigt als Schülerinnen und Schüler anderer Schulen. Das können Stellenanzeigen sein, Stipendienausschreibungen oder Kulturangebote. Der Algorithmus regelt Zugänge zu Ressourcen und nutzt dabei alle Daten, die im schulischen und privaten Kontext anfallen.
Woher kommt der Datenhunger?
Wer steckt eigentlich hinter diesen datenhungrigen Algorithmen, die uns durchleuchten und einsortieren? Das sind vor allem datengetriebene Unternehmen aus dem Silicon Valley. Geschäftsmodell dieser Unternehmen ist es, möglichst viele Daten über uns zu sammeln, diese algorithmisch zu kategorisieren und uns als verzehrfertige Datenhäppchen an Werbetreibende, Behörden, Versicherungen, Kreditinstitute oder (potenzielle) Arbeitgebende zu verkaufen.
Und mit der Digitalisierung von Schulen haben sich genau diese Firmen den Zugang zu den Daten von Millionen Schülerinnen und Schülern gesichert, deren künftige Kaufkraft nun lenkbar geworden ist. Die Folge: Kinder wachsen in einer hochgradig personalisierten Welt auf, in der sie die Rolle von Datenproduzentin und -produzent und Konsumentin und Konsument einnehmen.
Dabei haben Kinder und Jugendliche ein Recht darauf, einen unverzerrten Blick auf die Welt zu entwickeln, der sich aus vielfältigen Eindrücken speist. Digitale Selbstbestimmung ist wichtig, um genau das zu gewährleisten. Es ist daher Pflicht von Schulen, genau diese Art der Selbstbestimmung zu ermöglichen, indem zum einen über die Mechanismen und Geschäftsmodelle des Internets aufgeklärt wird, und zum anderen datensparsame Tools eingesetzt werden, die die Privatsphäre der Kinder respektieren.
Im Folgenden möchte ich Ihnen einige sofort umsetzbare Tipps geben, mit denen Sie Daten und sogar Kosten sparen können.
Praxistipps für mehr Datensparsamkeit an Ihrer Schule
1. Datenkraken vermeiden
Am besten geschützt und gesichert sind die Daten, die gar nicht erst entstehen. Verzichten Sie also auf Dienste und Geräte von datenhungrigen Unternehmen wie Google, Meta (ehemals Facebook) oder Amazon. Das mag auf den ersten Blick herausfordernd wirken, doch es gibt hilfreiche Seiten mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen und zahlreichen Alternativen zum Download, wie zum Beispiel bei Digitalcourage e.V.
Grundsätzlich sollten Sie Anbieter mit Firmensitz und Servern ausserhalb der EU meiden, denn für diese gilt nicht die DSGVO. Das bedeutet beispielsweise, dass weniger strenge Regulationen für die Erhebung und Speicherung von Daten gelten. Ausserdem haben Behörden in sogenannten Drittstaaten Einsicht in die Daten und könnten diese durchaus für ihre politische Agenda nutzen.
2. Die richtigen Geräte wählen
Um die IP-Adresse Ihrer Schülerinnen und Schüler zu schützen, sollte so gut es geht auf die Nutzung privater Geräte verzichtet werden. Stellen Sie sicher, dass ausreichend Schularbeitsrechner zur Verfügung stehen, im Idealfall lieber Laptops als Tablets, denn Laptops lassen sich datensparsamer und deutlich besser zur Recherche und Bearbeitung von Aufgaben nutzen.
3. Die richtigen Einstellungen
Trauen Sie sich ruhig einen Blick in die Einstellungen der genutzten Geräte zu, denn hier lassen sich Datenflüsse ganz einfach unterbinden:
- Schränken Sie zum Beispiel die Zugriffe auf Kamera und Mikrofon ein, bei mobilen Geräten sollten Sie unbedingt die App-Berechtigungen prüfen und einschränken.
- Kleben Sie Kameras ab, denn diese sind erstaunlich leicht zu hacken.
- Deaktivieren Sie die Werbe-ID mobiler Geräte sowie personalisierte Werbung (in den Google-Einstellungen von Android-Geräten) und die Standorterfassung.
- Sollten Sie Android-Geräte im Unterricht nutzen, installieren Sie gern den F-Droid Store als Alternative zum Google Play Store. Im F-Droid Store können Sie freie Software herunterladen, die sowohl datensparsam ist als auch keine Kostenfallen innerhalb der Apps beinhalten. Gerade in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ersparen Sie sich dadurch viel potenziellen Ärger.
Lassen Sie sich von diesem einmaligen Aufwand bitte nicht abschrecken! Es lohnt sich!
4. Die richtigen Dienste wählen
Entscheiden Sie sich für Dienste, die keine Registrierung erfordern und sich einfach per Link nutzen lassen. Je weniger Informationen Ihre Schülerinnen und Schüler preisgeben müssen, umso besser. Das ist zum Beispiel bei Videokonferenzen per BigBlueButton (z. B. über Senfcall.de) sowie bei Brainstorming-Tools wie Crytpad.fr möglich. Auch die Tool-Kiste von Kits.Blog ist ein wahrer Schatz! Begeben Sie sich gern auf die Recherche zu Alternativen der grossen Anbieter, die oftmals sogar noch zusätzliche Funktionen beinhalten.
Übrigens sind Dienste im Browser deutlich datensparsamer als die zugehörigen Apps. Wählen Sie daher lieber Anbieter, die Sie im Browser nutzen können, und stellen Sie sicher, auch beim Browser auf Google zu verzichten (Empfehlung: Mozilla Firefox Browser mit DuckDuckGo als Standardsuchmaschine).
5. Geld und Daten sparen mit freier Software
In den letzten Jahren hat sich eine grosse Verwirrung breitgemacht bezüglich der Auswahl geeigneter Software. Ohne klare Vorgaben von Bund und Ländern wurden Schulen in diesem Prozess alleingelassen. Diese Uneinigkeit haben Firmen wie Google und Microsoft ausgenutzt, um sich in Schulen einzukaufen, obwohl ihr Geschäftsmodell nicht mit der DSGVO vereinbar ist.
Die Lösung: Setzen Sie an Ihrer Schule auf freie Software. Hinter dieser Art von Software stecken häufig Initiativen, Vereine und Stiftungen sowie viele Ehrenamtliche, die sich für ein freies Internet einsetzen, wo Privatsphäre nicht erkauft werden muss. Freie Software ist transparent einsehbar, der Code wird veröffentlicht und jeder/jede kann bei der Verbesserung mithelfen. So werden Sicherheitslücken schnell geschlossen und der Code rasant weiterentwickelt. Wenn Ihnen das zu technisch ist, kann ich Sie beruhigen: Sie können die Prüfung der Software anderen überlassen und sich ganz auf die Anwendung konzentrieren.
Der Verein Digitalcourage hat ein Netzwerk etabliert, bei dem Schulen sich gegenseitig bei der Auswahl und dem Einsatz von freier Software unterstützen: das Netzwerk Freie Schulsoftware. Auf der zugehörigen Seite finden Sie neben einer stetig wachsenden Empfehlungsliste zu freier Software für jeden Anwendungsbereich auch Schulen, die Sie bei Fragen kontaktieren können.
Ihre Mission
Keine Sorge, Sie müssen nicht zum IT-Profi werden, um digitale Selbstbestimmung zu praktizieren. Ihre Mission als Lehrkraft ist es, die Selbstbestimmung der Schülerinnen und Schüler zu stärken, indem Sie Anbieter nutzen, für die Sie und Ihre Schülerinnen und Schüler nicht mit Ihren Daten bezahlen müssen.
Durch gelebte Datensparsamkeit gehen Sie mit gutem Beispiel voran. Seien Sie transparent: Klären Sie Schülerinnen und Schüler über Mechanismen im Netz auf und lassen Sie sie selbst informierte Entscheidungen treffen.
Digitale Selbstbestimmung ist Teamsport und die Schule ein grossartiges Spielfeld dafür!
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